Der englische Detailhändler Tesco hat offenbar ein Durcheinander in der Buchhaltung. Beim Zusammenstellen der Zahlen für den Halbjahresabschluss per Ende August 2014 stellte laut der «Financial Times» ein Mitarbeiter fest, das etwas nicht stimmte.
Konzernchef Dave Lewis, der seit Anfang September im Amt ist, liess eine interne Voruntersuchung durchführen und hat die Resultate Ende September veröffentlicht. Er kündete an, dass der Gewinn für das erste Halbjahr nicht wie noch im August geschätzt bei 1,1 Mrd. £, sondern bei nur 0,85 Mrd. £ liegen werde. Die Finanzabteilung hat zu viel Einnahmen und zu wenig Kosten verbucht.
Während über die Natur der nicht erfassten Kosten wenig bekannt ist, haben englische Medien bei den fälschlicherweise berücksichtigten Umsätzen bereits konkrete und von Lewis bestätigte Vermutungen angestellt. Demnach handelt es sich um Beträge, die Tesco von seinen Lieferanten zu einem späteren Zeitpunkt im Verlauf des Geschäftsjahres erhält. Diese Überweisungen entsprechen einer auch in der Schweiz gängigen Praxis. Will etwa ein Markenartikelhersteller, dass sein Produkt in einem Coop- oder Migros-Regal steht, wird vielfach eine sogenannte «Listing-Gebühr» fällig. Der Detailhändler deckt damit angeblich Kosten, die ihm durch die erstmalige Aufnahme der Ware entstehen. Ferner bezahlen Lieferanten auch für Aktionen, deren Anzahl beschränkt sein kann. Schliesslich vereinbaren Produzenten und Detailhändler häufig Bonuszahlungen, die beim Erreichen gewisser Absatzziele fällig werden.
Gerade der Betrag solcher Boni ist aber Mitte Jahr noch Gegenstand einer Schätzung, da noch nicht klar ist, ob die nötigen Verkaufszahlen bis Ende Jahr realisierbar sind. So hängt die zu verbuchende Grösse von Prognosen ab. Die Firma Tesco – die im Geschäftsjahr per Ende Februar 2014 64 Mrd. £ Umsatz und 1 Mrd. £ Gewinn erwirtschaftet hatte – geriet in jüngster Zeit unter Druck. Sowohl hochpreisige Konkurrenten wie Waitrose als auch die deutschen Discounter Aldi und Lidl graben ihr das Wasser ab. In einem solchen Umfeld steigt womöglich der Druck, den verfügbaren Spielraum in der Buchhaltung auszureizen. Die laufende Untersuchung wird zeigen, ob die Fehler absichtlich geschahen oder nicht.
Gewisse Kadermitarbeiter mussten bereits ihren Posten räumen. Auch der Tesco-Wirtschaftsprüfer PwC könnte in Erklärungsnot geraten. Das wäre der Fall, wenn es sich bei den Fehlern um eine seit längerem verfolgte Praxis handelt. Ein Semesterbericht wird nämlich nicht geprüft. Die Revisionsstelle nimmt lediglich eine etwas weniger umfassende Durchsicht der Zahlen vor.
Quelle: Christoph G. Schmutz, Detailhändler Tesco verrechnet sich beim Halbjahresgewinn. Neue Zürcher Zeitung 235 (2.10.14): 30
Bei Tesco scheint es im Prozess Management und bei den Risikokontrollen nicht zum Besten bestellt zu sein. Möglicherweise sind auch Paradigmenwechsel angesagt.