Fast jede Organisation verlässt sich zur Berechnung und Auszahlung der Saläre auf ein computergestütztes Buchhaltungsprogramm, wie die Neue Zürcher Zeitung in ihrer Ausgabe vom 13. Februar 2013 schreibt. Manche von ihnen können ein Lied über die Pannen singen, die sie bei der Einführung des Systems erlebten. Noch viel grössere Probleme können entstehen, wenn es um ein Programm für eine Belegschaft von mehr als einer Viertelmillion Mitarbeiter geht. Dies muss zurzeit der bevölkerungsreichste Staat der USA erfahren. 2005 hatte Kalifornien die Einführung eines Softwarepakets beschlossen, das das Personalsystem auf eine papierlose Grundlage stellen sollte. Das Projekt mit veranschlagten Kosten von 131 Millionen Dollar sollte sechs verschiedene Personalsysteme ersetzen, die teilweise noch aus den siebziger Jahren stammen.
Pannen und Kostenexplosion
Der Auftrag bestand darin, die Abrechnung und Überweisung von Gehältern für 294 000 Empfänger zu erledigen. In der Totalsumme von jährlich 15 Milliarden Dollar, die das Buchhaltungssystem verwalten soll, müssen Saläre, Sozialleistungen, Arbeitszeiten, Überstunden, Ferienansprüche, Zuschüsse, Abzüge, Rentenzahlungen einbezogen sowie die Prämienstrukturen von drei Dutzend verschiedenen Krankenkassenpolicen berücksichtigt werden.
Die öffentliche Ausschreibung für die Lieferung des Softwarepakets gewann 2005 das deutsche Unternehmen SAP Public Services mit seiner Software-Suite «mySAP», für die Integrierung wurde ein Jahr später die Firma BearingPoint ausgewählt. Die Einführung des neuen Systems sollte im Juni 2009 erfolgen. Doch die Zusammenarbeit zwischen dem Auftraggeber und BearingPoint war holprig. Innert zweier Jahre wurden vier Projektleiter und über achtzig Mitarbeiter ersetzt, bis Kalifornien schliesslich den 69 Millionen schweren Kontrakt im Januar 2009 aufkündigte. Zu diesem Zeitpunkt waren BearingPoint schon Honorare in Höhe von 26 Millionen Dollar ausbezahlt worden. Unterdessen waren die geschätzten Kosten des Projekts auf 175 Millionen Dollar angewachsen.
Nach diesem Debakel wurde SAP, der Lieferant von mySAP, beauftragt, auch die Integrierung des Software-Pakets in das kalifornische Buchhaltungssystem zu übernehmen. Dutzende von Beamten, Konsulenten und Mitarbeitern von SAP arbeiteten vier Jahre lang an der Umsetzung. Als im Juni 2012 endlich ein erster Testlauf mit 1300 Mitarbeitern stattfinden konnte, kamen massive Fehler zum Vorschein. Mehr als ein Drittel der Gehaltszahlungen wurde auf falsche Namen oder mit falschen Summen ausgeführt. Ein zweiter, für vergangenen September vorgesehener Testlauf wurde abgesagt.
Im Oktober sandte die Revisionsstelle des Staats Kalifornien ein Schreiben voller Vorwürfe an SAP. 9 von 44 Ablieferungsterminen seien in den ersten acht Monaten des Jahrs 2012 verpasst worden. Das Vorhaben werde von unerfahrenen Projektleitern und Mitarbeitern durchgeführt. Ein Sprecher der Softwarefirma wies die Vorwürfe zurück und versicherte, die Einführung des Systems werde schrittweise bis Spätsommer 2013 stattfinden. Dennoch ist den kalifornischen Behörden nun der Geduldsfaden gerissen. Sie haben den Vertrag mit SAP vergangene Woche gekündigt. Für das Projekt sind aber bereits 250 Millionen Dollar aufgewendet worden. Die Gesamtkosten bis zur Fertigstellung werden jetzt auf 370 Millionen Dollar geschätzt, fast das Dreifache des ursprünglich genehmigten Betrages.
Kein Einzelfall
Es ist nicht das erste Mal, dass Kalifornien – als Heimat von Silicon Valley sozusagen Inbegriff der digitalen Revolution – mit Problemen bei Computerprojekten zu kämpfen hat. 1995 wurde ein 50-Millionen-Dollar-Projekt der Motorfahrzeugkontrolle ad acta gelegt, da es sich als unbrauchbar herausstellte. Ein 1988 in Angriff genommenes System zur Eintreibung von Alimenten wurde mit 13 Jahren Verspätung erst 2008 fertiggestellt. Der Verzug hatte Kalifornien jährlich 100 Millionen Dollar an Strafen gekostet, da der Teilstaat seinem Auftrag, säumige Väter ausfindig zu machen, nicht nachgekommen war.
Im letzten März wurde das gross angekündigte «Court Case Management System» storniert, ein auf 2 Milliarden Dollar veranschlagtes Projekt zur Vereinheitlichung von siebzig verschiedenen Softwareprogrammen des kalifornischen Justizsystems. Zu diesem Zeitpunkt war ein Viertel der Summe bereits ausgegeben. Zudem wurde im September 2011 ein Computersystem zur Verwaltung der staatlichen Pensionskasse für ein Zweifaches des bewilligten Budgets fertiggestellt. Ein System zur Koordinierung der Materialbeschaffung ist in Verzug und liegt Hunderte von Millionen Dollar über Budget.
Die kalifornischen IT Debakel veranschaulichen, dass Erfahrung sehr wichtig ist. Ebenso wichtig ist, die Anzahl der Dienstleister zu beschränken.