Justiz: Adieu, Aktenberg

Setzt sich Justitia heute in Bewegung, so führt ihr Weg über Papierberge, so die NZZ am 17. Febr. 2019. Dass dies nicht mehr zeitgemäss ist, leuchtet ein. «Es gibt etwas Besseres», ist Ulrich Meyer, Präsident des Bundesgerichts, überzeugt. Er meint damit «Justitia 4.0», ein ambitioniertes Grossprojekt, das rund 350 Personen aus der Schweizer Justizlandschaft am Donnerstag in Luzern gemeinsam lanciert haben. Die Zielvorgabe: Der gesamte Rechtsverkehr soll in naher Zukunft elektronisch ablaufen.

Hinter dem Projekt stehen alle wichtigen Akteure: Auf Behördenseite sind dies die Gerichte des Bundes und der Kantone, die Bundesanwaltschaft und die Staatsanwaltschaften, das Bundesamt für Justiz und der Justizvollzug. Aber auch die Schweizer Richterinnen und Anwälte tragen den geplanten Paradigmenwechsel mit. Davon betroffen sind gegen 30 000 Angestellte im Schweizer Justizwesen.

Baden-Württemberg als Vorbild

Das Ganze sei als Transformationsprojekt zu verstehen und nicht primär als IT-Projekt, sagt Jens Piesbergen von der Projektleitung. Jacqueline Fehr, Zürcher Regierungsrätin und Vorstandsmitglied der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD), spricht gar von einem «Kulturprojekt» – denn ändern sollen sich mit «Justitia 4.0» nicht nur die Organisation und der Arbeitsablauf, sondern eine ganze Arbeitskultur.

Elektronische Akten sollen die papierenen ersetzen, im Justizalltag sowie in den Köpfen der betroffenen Akteure. Geplant ist eine elektronische Aktenführung mittels der sogenannten eJustizakte, die durch eine entsprechende Applikation bearbeitet werden kann. Für den elektronischen Datenaustausch zwischen den Rechtsparteien soll das Portal «Justitia.Swiss» geschaffen werden. Das Projekt umfasst sämtliche Rechtsgebiete, von der Straf- über die Zivil- bis hin zur Verwaltungsgerichtsbarkeit.

Um eine Vorstellung davon zu erhalten, wie diese Umstellung die Arbeit am Gericht verändert, wurden zur Lancierung von «Justitia 4.0» Vertreter aus dem deutschen Bundesland Baden-Württemberg eingeladen. Beim nördlichen Nachbarn ist man in Sachen digitaler Justiz bereits einen beträchtlichen Schritt weiter; längst arbeiten einige Gerichte vollkommen papierlos. Dreh- und Angelpunkt sind auch dort die elektronischen Aktenmappen, die zeitgleich von verschiedenen Akteuren bearbeitet werden können. Das physische Hin- und Herschieben von Akten fällt somit weg. Und wo der Richter früher bunte Post-its eingeklebt hat, markiert er heute wichtige Stellen direkt am Bildschirm.

Auch in der Schweiz ist der elektronische Rechtsverkehr heute schon möglich, etwa am Bundesgericht. Doch weil es für digitale Beschwerden, die am höchsten Gericht eingereicht werden, eine qualifizierte elektronische Signatur braucht, werden solche kaum je erhoben. Im Jahr 2016 waren von 7811 eingegangenen Beschwerden gerade einmal 32 digital. Im Rahmen von «Justitia 4.0» soll diese Zahl nun massiv erhöht werden. Mit dem Projekt sollen einerseits die technischen Voraussetzungen vereinfacht und die anwaltlichen Risiken minimiert werden, insbesondere in Bezug auf Fristen. Anderseits soll ein Obligatorium professionelle Akteure wie Anwälte oder Treuhänder dazu verpflichten, digital zu kommunizieren. Davon ausgenommen ist der gemeine Bürger, dem der Zugang zum Recht auch weiterhin in papierener Form möglich sein soll.

Ziel der Projektleitung ist es, dass Technik und Gesetzgebung synchron verlaufen. Auf technischer Ebene werden bis 2020 vereinzelt kleine Pilotvorhaben lanciert und bestimmte Prototypen getestet. Das Obligatorium zum elektronischen Rechtsverkehr soll zudem in einem Bundesgesetz festgehalten werden, das voraussichtlich im Juli 2019 in die Vernehmlassung geschickt wird. Läuft alles nach Plan, wird das Gesetz 2023 verabschiedet. Danach sind die Kantone gefordert – auch sie müssen ihre Gesetze anpassen. Für das ganze Projekt «Justitia 4.0» haben die Organisatoren acht Jahre veranschlagt.

Kosten und Sicherheit im Fokus

Zu den Kosten könne man zum jetzigen Zeitpunkt keine exakten Angaben machen, sagt Projektleiter Piesbergen. Für die erste Phase sei ein tiefer einstelliger Millionenbetrag budgetiert. Generell wird das Projekt je zur Hälfte von der Justizkonferenz und der KKJPD finanziert, wobei die Kosten unter den Kantonen nach der Bevölkerungsgrösse aufgeteilt werden. Der Kanton Zürich wird also am meisten bezahlen müssen. Gerade die Kosten, aber wohl auch Fragen zur Sicherheit der IT-Systeme und zum Datenschutz dürften noch Anlass zu Diskussionen geben.

Quelle: NZZ-E-Paper vom 15.02.2019, S. 16

Man höre und staune, für das ganze IT Projekt haben die Organisatoren acht Jahre veranschlagt. Aus Erfahrung kann man hier nur sagen, dass derart lange dauernde IT Projekte höchst riskant sind. Es könnte sich also das nächste IT Debakel der öffentlichen Verwaltung anbahnen…

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