Zwist um Sterberaten

Wie die Neue Zürcher Zeitung in ihrer Ausgabe vom 20. Oktober 2009 schreibt, sterbe Im Zürcher Unispital nicht jeder zehnte Patient mit einem Herzinfarkt, sondern nur jeder vierzigste. Das sagt der Chefarzt der Zürcher Kardiologie und widerspricht damit dem Bund. Dessen Qualitätsdaten seien unbrauchbar, kritisiert er.

Benjamin Tommer

Die Ernüchterung im Zürcher Universitätsspital (USZ) war gross, als das Bundesamt für Gesundheit im April erstmals Sterberaten von 29 Schweizer Spitälern veröffentlichte. Das USZ, ein Haus mit einem Namen, der über die Landesgrenzen hinaus klingt, schnitt in diesen Vergleichen teilweise sehr schlecht ab. Beispielsweise die Kardiologie: 10 Prozent der Patienten mit der Diagnose Herzinfarkt waren laut dem Bund 2006 im USZ gestorben; in anderen Spitälern lag dieser Wert deutlich unter 5 Prozent. Auch andere USZ-Kliniken wiesen Zahlen aus, die sie lieber nicht veröffentlicht gesehen hätten.

Eine Frage der Codierung

Thomas F. Lüscher, der Chefarzt der Klinik für Kardiologie des USZ, hat sich die Zahlen seiner Klinik unterdessen genau angesehen. Seine Ergebnisse, die er jetzt in der Zürcher Ärztezeitung veröffentlicht hat, widersprechen denjenigen des Bundes deutlich. Nur 2,7 und nicht 10 Prozent der Patienten mit einem Herzinfarkt seien 2006 im USZ gestorben, schreibt Lüscher. Durchaus selbstkritisch weist er die Verantwortung für diese erhebliche Differenz aber nicht einfach dem Bundesamt für Gesundheit zu. Von den 412 Infarkten, die die Kardiologie des USZ im Berichtszeitraum verzeichnet habe, seien nur 125 «richtig erfasst» gewesen, hält Lüscher fest. Die Erfassung ist Sache der einzelnen Spitäler. Der Bund hat die erfassten Werte lediglich zusammengetragen und zu einem Vergleich verarbeitet.

Gleichwohl äussert Lüscher in seinem Bericht grundsätzliche Kritik an der Publikation des Bundes. Die Zahlen seien unvollständig, ungenügend standardisiert und berücksichtigten kaum das Risiko und die Komplexität der Patienten, schreibt Lüscher. So träfen in einem Zentrumsspital beispielsweise mehr reanimierte Infarktpatienten ein als in einem kleinen Spital. Das Sterberisiko solcher Patienten sei deutlich höher. Eine zentrale Rolle spiele auch die Codierung. Wenn beispielsweise ein beatmeter Infarktpatient an einem Infekt sterbe, könne als Todesursache der Infarkt oder der Infekt notiert werden. Weil die gewählte Diagnose zudem einen Einfluss darauf habe, wie die Spitäler für ihre Leistung entschädigt werden, sei die Gefahr verfälschter Daten riesig, bilanziert Lüscher.

Publikation gefährdet Qualität
Lüscher geht mit seiner Kritik so weit, dass er der Publikation der Qualitätsdaten gar eine negative Wirkung auf die Qualität der medizinischen Versorgung zuweist. Denn wer als Arzt seinen guten Ruf schützen wolle, behandle mit Vorteil keine Risikopatienten mehr. Unter dem Strich führe das dazu, dass der Qualitätsvergleich des Bundes die Qualität der medizinischen Versorgung verschlechtere, statt sie zu verbessern.

Daniel Dauwalder, Mediensprecher des Bundesamtes, reagiert gelassen auf die Kritik von Lüscher. Der Bund habe den Qualitätsvergleich von Anfang an als Pilotprojekt bezeichnet. Man wolle eine Diskussion über die Qualität in den Schweizer Spitälern anstossen. Rückmeldungen wie diejenige von Lüscher werde man für die Weiterentwicklung des Vergleichs sicher berücksichtigen.

Der Fall illustriert, wie eine Datenerhebung und -auswertung zum Bumerang werden und zu fatalen Fehlinterpretationen führen kann.

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