Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht? Das lancierte schweizerische elektronische Patientendossier EPD wurde über eine äusserst lange Zeitperiode entwickelt. Was (sehr) lange währt, wird endlich gut – sollte man meinen. Dass dem nicht so ist, hat die NZZ mit dem folgenden Leserbrief auf den Punkt gebracht:
“Das elektronische Patientendossier (EPD; siehe auch NZZ 29.6.23) hat eine jahrzehntelange Leidensgeschichte mit etlichen Terminverschiebungen hinter sich. Umso erfreuter war ich, den Medien zu entnehmen, dass nun eine EPD-Lösung eingeführt sei. Also setzte ich mich an den Computer und loggte mich bei https://www.patientendossier.ch/privatpersonen ein. Dabei wurde mir schon bald klar, dass für die Erlangung eines EPD ein Hochschulabschluss in gehobener Informatik oder fortgeschrittener Bürokratie hilfreich wäre.
In zwei langen Prozessen erlangte ich – gepeinigt mit vielen neuen und nicht auf Anhieb verständlichen Fachbegriffen – schliesslich die geforderte TrustID-Verifizierung und erhielt anschliessend von eSanita den Antrag zur EPD-Eröffnung. Wohlverstanden: den Antrag, nicht das EPD.
Dann wurde ich zum nächsten Schritt aufgefordert: Ich solle mich mit der TrustID-Referenz, dem unterschriebenen Antragsformular von eSanita und dem Pass oder der ID persönlich zu einer EPD-Eröffnungsstelle begeben. Nach allem, was ich kapiert hatte, sind mit EPD-Eröffnungsstellen Spitäler und Arztpraxen gemeint. Also ging ich zu «meinem» Gesundheitszentrum, aber niemand wusste dort etwas vom EPD. Man mutmasste, eSanita könnte mit der EPD-Eröffnungsstelle gemeint sein.
Geärgert hat mich diese Konfusion keineswegs, eher belustigt. Ich fühlte mich jugendlich wie vor bald sechzig Jahren, als ich mit Vergnügen Kafka las. Zu Hause googelte ich dann weiter und stellte fest, dass es in vielen Kantonen noch gar keine EPD-Eröffnungsstellen gibt.
Da ich das EPD für eine segensreiche Einrichtung halte, würde ich es begrüssen, wenn es nicht schon vor seiner Geburt bürokratisch abgetrieben würde.”
Quelle: NZZ vom 4.8.23, Fredy Sidler, Biel
Die vom Leser gemachten Erfahrungen und die Kritik sind unglaublich. Ob die Ausführungen tatsächlich glaubhaft sind, lässt sich aufgrund der Website https://www.patientendossier.ch/privatpersonen plausibilisieren. Steigt man ein, so wird man gleich hellhörig, heisst es doch einleitend:
“Wenn Sie ein EPD eröffnen wollen, müssen Sie als ersten Schritt einen EPD-Anbieter wählen. Die EPD-Anbieter unterscheiden sich in ihrem Angebot durch lokale Eröffnungsstellen, durch die Sprache und teilweise durch zusätzliche Funktionen. Auch die Schritte zur Eröffnung können von Anbieter zu Anbieter etwas anders sein. In jedem Fall aber braucht es für die Eröffnung eines EPD eine elektronische Identität.”
Auf der gleichen Seite wird erläutert, wie man in 6 (!) Schritten ein EPD eröffnet und einrichtet:
1. EPD Anbieter wählen
2. EPD Eröffnungsstelle finden
3. Elektronische EPD Identität besorgen
4. Einwilligen für das EPD
5. EPD eröffnen
6. EPD einrichten
Bereits Schritt 1 kann sich als Herausforderung herausstellen, ist doch unter zahlreichen Anbietern zu wählen. Diese unterscheiden sich tatsächlich nach Sprache und Zugangsmöglichkeiten, denn die einen Anbieter offerieren eine “Online-Eröffnung”, andere wiederum eine EPD App. Kein Anbieter bietet beides an.
Auch das Eröffnen des eigentlichen EPDs, Schritt 5, ist mit Umtrieben verbunden, denn man muss es “vor Ort” tun. Im Klartext: “Nachfolgend finden Sie die Stellen, wo Sie das EPD vor Ort eröffnen können. Bei einigen Stellen ist eine vorherige Terminvereinbarung erforderlich. Sie können die Eröffnungsstellen nach einem oder mehreren Kantonen oder nach einem Anbieter filtern.”
Fazit: Man kann es drehen wie man will: die Schweiz hat es geschafft, eine an sich simple IT Aufgabenstellung sehr kompliziert und umständlich zu lösen, vorbei an legitimen Anwenderbedürfnissen. Obschon der Föderalismus seine guten Seiten hat, braucht es bei flächendeckenden Anwendungen andere Denk- und Lösungsansätze. Der Bund hat eine grosse Chance verpasst, ein effektives und effizientes EPD zu schaffen.
https://www.patientendossier.ch/privatpersonen/epd-eroeffnen
https://www.patientendossier.ch/privatpersonen/epd-eroeffnen/epd-vor-ort-eroeffnen
Hallo Claude
Hoffentlich geht es dir ausgezeichnet in diesem beginnenden Winter.
Wie du finde ich es auch erstaunlich, dass man nach so langer Zeit es nicht schafft, eine benutzerfreundliche Lösung zu präsentieren. Wahrscheinlich hängt dies damit zusammen, dass die Anforderungen der Beteiligten Akteure immer noch sehr weit auseinanderliegen und die technische Lösung im Vordergrund liegt statt ein “geligender Verkauf” an die Bevölkerung.
PS
Ich habe ja damals bei der Firma Bint (www.bint.ch) etwas an EPD schnuppern können und bin ja nun seit Mitte Juni des letzten Jahres der IT-Supporter des ERPs der Spitex Zürich AG (https://www.myneva.ch/de/ambulant/ueberblick), die sich mitten in der technischen Fusion der beiden vorherigen Firmen Spitex Limmat und Spitex Sihl befindet. Zurzeit läuft auch die Ausschreibung fürs ERP. Zudem unterstütze ich die neu geschaffene Stabsabteilung “Qualität & Prozesse” bei der Findung (mit einer externen Consulting-Firma und unseren Mitarbeitenden) und Modellierung von Prozessen in BPMN 2.0 in Adonis.
Wollen wir uns wieder mal für einen Austausch treffen? Vielleicht akzeptiert das nächste Restaurant dieses Mal ja meine American Express Kreditkarten, so dass du nicht einspringen musst.
Herzlich
Reto