Die Räbeliechtli-Umzüge sind für viele Kinder in der Stadt Zürich ein Fixpunkt im Jahreslauf. Anfang November marschieren jeweils Tausende mit ihren selbst ausgehöhlten, kunstvoll verzierten und von Teelichtern erleuchteten Räben durch die Quartiere. Zum Abschluss des Lichterumzugs werden den Teilnehmern Tee, Punsch, Weggen oder Biberli gereicht.
Doch nun droht laut den Organisatoren Ungemach. Der Grund: Bei Gesuchen für Veranstaltungen mit 500 bis 5000 Teilnehmern ist seit Anfang Jahr eine Risikoanalyse zwingend, wie die Zeitung «Lokalinfo» berichtet. Das Formular umfasst offene Punkte wie «Unwetter», «Stromausfall», «Wildurinierer» oder «Bombendrohung». Diese Einträge müssen die Organisatoren machen und das Formular ihren Gesuchen beilegen. Einen Teil des Dokuments füllt die zuständige Fachstelle Crowd-Management bereits vorher aus. Bei «Unwetter» heisst es unter anderem, dass das Wetter zu beobachten und Aufbauten zu kontrollieren seien sowie ein Kontakt zu einem meteorologischen Dienst bestehen müsse.
Völlig unnötig
Begründet wird die Änderung von der Stadtpolizei mit der Katastrophe an der Love-Parade in Duisburg 2010 und einer nur mit Glück verhinderten Massenpanik am Züri-Fäscht 2013. Diese Negativereignisse zeigten, wie wichtig die Erkennung von allfälligen Gefahrenherden bereits bei der Planung sei, heisst es in den Handlungsgrundsätzen der Fachstelle Crowd-Management. Die Vorgaben gelten nicht nur für Grossveranstaltungen, sondern – in abgespeckter Variante – auch für kleinere Anlässe, zu denen zum Beispiel die Räbeliechtli-Umzüge zählen.
Dies sehr zum Ärger der Organisatoren der rund zwei Dutzend Räbeliechtli-Umzüge in der Stadt. Die Veranstalter des Umzugs im Quartier Oberstrass haben ihrem Unmut mit einem satirisch überhöhten Gesuch Luft verschafft. Zusätzlich zu den verlangten Punkten sind in ihrer Risikoanalyse augenzwinkernd auch für die Fälle, dass ein Kinderwagen kaputtgeht, es zu wenig Schoggibrötli gibt oder es zu einem Meteoriteneinschlag kommt, Massnahmen aufgelistet. Zu den Schoggibrötli heisst es unter «Auswirkungen» wortwörtlich: «Vorwurf von Food-Waste durch Betreuungspersonen, lautstarke Reklamationen, Streit». Und als Massnahme: «Information anlässlich Begrüssung durch Organisator, weniger Schoggibrötli einkaufen».
Bettina Uhlmann, Präsidentin des Quartiervereins Oberstrass, kritisiert vor allem den bürokratischen Aufwand, der bei Veranstaltungen von Jahr zu Jahr grösser werde. Beim ebenfalls im Quartier stattfindenden Stolze-Open-Air ergebe eine Risikoanalyse ja Sinn, nicht aber bei einem Räbeliechtli-Umzug. «Das ist völlig unverhältnismässig.» Zumal die meisten Kinder von Erwachsenen begleitet würden und die Polizei ebenfalls vor Ort sei. «Solche Vorgaben sorgen dafür, dass Freiwilligenarbeit in der heutigen Zeit an Stellenwert verliert und einen schweren Stand hat», sagt Uhlmann.
Gleich tönt es bei den Verantwortlichen des Affoltemer Räbeliechtli-Umzugs. Über tausend Kinder ziehen im Quartier jährlich von vier Startpunkten aus zum Ziel beim Gemeinschaftszentrum Affoltern. «Die Vorgabe ist völlig unnötig», sagt Quartiervereinspräsidentin Pia Meier. Schon seit Jahren bespreche man im Vorfeld mit der Polizei die wichtigsten Punkte. Passiert sei noch nie etwas. Meiers Fazit: «Ein bürokratischer Papiertiger, der ausser Mehrarbeit nichts bringt.»
Kein Sicherheitskonzept
Bei der Stadtpolizei Zürich beschwichtigt man. Die Organisatoren von kleineren und mittleren Veranstaltungen müssten anders als bei Grossanlässen kein Sicherheitskonzept einreichen, sagt die Stadtpolizei-Sprecherin Judith Hödl auf Anfrage. «Es geht nur darum, dass sich die Veranstalter Gedanken dazu machen, welche Risikofaktoren es an ihren Anlässen geben könnte und diese schriftlich einreichen.» Auf dem Formular seien auch nur jene Punkte auszufüllen, welche die Organisatoren tatsächlich beträfen. Aber auch bei kleineren Veranstaltungen könne einmal etwas passieren, sagt Hödl. Dann sei es gut, wenn man entsprechende Planungen schon gemacht habe.
Laut Hödl müssen sich die Organisatoren nicht sorgen, dass die Umzüge aufgrund der neuen Vorgaben nicht mehr bewilligt werden. Auch leisteten die Kreischefs Hilfe beim Ausfüllen des Formulars. «Im ersten Durchgang gibt es zwar etwas Mehraufwand bei der Erstellung der Risikoanalyse, danach kann man die Angaben jährlich aktualisieren.» Dennoch reagiert die Stadtpolizei auf die Kritik aus den Quartieren. Man werde nun nochmals ein Faktenblatt aufschalten, um die Vorgaben im Detail zu erläutern, sagt Hödl.
Quelle: NZZ, 1.10.2019, S. 18
Die Bürokratie steigt und steigt. Den Vogel abgeschossen hat die Stadt Zürich mit dem neu verhängten Formularzwang für Räbelichtliumzüge. Zu Recht wird die Massnahme von den Veranstaltern als unverhältnismässig empfunden. Handlungsbedarf sah die Stadt Zürich offenbar aufgrund der Katastrophe an der Love-Parade in Duisburg 2010, was etwas weit hergeholt scheint.
Der Formularzwang wäre einigermassen verständlich, wenn er auf einem modernen Risk Management Verständnis* beruhen würde. Dabei geht es darum zu erkennen, ob und wie stark einzelne (bewertete) Risiken korrelieren. Es könnte ein Risiko vorhanden sein, das mit dem Risiko Räbelichtliumzug überhaupt nichts zu tun hat, die Räbelichtliumzüge aber gefährden könnte (z.B. Flugzeugabsturz). Im Zeitungsartikel steht aber nichts über (wichtige) abhängige Risiken, die den Formularzwang verständlicher machen könnten.
* Prof. Dr. Stefan Hunziker, MAS/DAS; Patrick Balmer, IFZ
Mir fehlen die Worte für die Beurteilung dieses bürokratischen Unsinn!
Kommt mir vor wie früher bei Bally, als Herr S das neue Formular zum „Inflation Accounting“ verkehrt herum hielt😉! Sorry, ist ein interner Joke.