Gefährliche Versuche haben normalerweise mit Starkstrom, tödlichen Viren oder giftigen Schlangen zu tun. Doch der Geschäftsmann Hernando de Soto musste feststellen, dass ihn selbst ein Experiment über etwas so Langweiliges wie Betriebsbewilligungen in Todesgefahr bringen konnte. Einige der Leute, die mit seinen Ansichten nicht einverstanden waren, zündeten im Juli 1992 vor seinem Büro in Lima eine Bombe. Drei Mitarbeiter starben.
Hernando de Soto wuchs in der Schweiz auf. Seine Familie hatte Peru nach dem Militärputsch 1948 verlassen. Er studierte am Institut für internationale Studien und Entwicklung in Genf und arbeitete danach in Unternehmensleitungen und als Berater. Mit 38 Jahren kehrte er 1979 nach Peru zurück.
Was de Soto vorfand, war nicht der Garten Eden, von dem ihm seine Eltern erzählt hatten. Er hatte gewusst, dass Peru ein armes Land war, doch was das bedeutete, wurde ihm erst nach seinem Umzug klar. Als er die vielen fliegenden Händler sah, die ihre Ware auf dem Rücken durch die Strassen schleppten, fragte er sich, wie Armut entstehe. «Ich hatte Adam Smith gelesen. Ich hatte mich mit Marx auseinandergesetzt. Doch die lieferten nur vorgefertigte Antworten», sagte de Soto in einem Radiointerview. Bald machte er sich auf die Suche nach einer eigenen Antwort.
Er sprach mit Strassenhändlern, die feste Marktstände eröffnen wollten. Dass sie das nicht konnten, lag nicht nur am fehlenden Geld. Immerhin hatten es einige geschafft, sich kleine Häuser zu bauen. Das grosse Problem war, dass sie kein Bankkonto besassen, keine Eigentumsurkunde für ihr Haus und keine Bewilligung für ihr Geschäft. Sie bildeten die Schattenwirtschaft ausserhalb des legalen Systems.
Um herauszufinden, was es brauche, Teil der offiziellen Wirtschaft zu werden, unternahm de Soto mit seinem Instituto Libertad y Democracia ein Experiment. Im Sommer 1983 gründete er im Industriegürtel von Lima eine kleine Kleiderfabrik, die er mit einigen Nähmaschinen ausrüstete. Er hatte allerdings nicht vor, diese Maschinen wirklich zu benutzen. Die Firma diente ihm bloss als Vehikel, um die Frage zu beantworten: Wie lange wird es dauern, bis alle offiziellen Bewilligungen für einen solchen Betrieb vorliegen?
De Soto stellte vier Studenten und einen Juristen an, die die Behördengänge erledigten. Sie gingen von Büro zu Büro, zählten die Reisezeiten im Bus zusammen und bezahlten in zwei Fällen Schmiergeld. Um die elf Bewilligungen zu erhalten waren 289 Arbeitstage nötig. Die Gebühren und der Einkommensverlust beliefen sich auf 1231 Dollar, was dem 32fachen Mindestlohn entsprach.
De Soto hatte seine Antwort gefunden. Jetzt wollte er etwas tun. Er startete eine Radiokampagne und eine Fernsehshow gegen die Bürokratie. Und er schrieb das Buch «Der andere Pfad», dessen Titel auf die Guerrillaorganisation Leuchtender Pfad anspielte. Diese maoistische Verbindung kämpfte mit Waffen für ein kommunistisches Peru. De Soto hingegen wollte das kapitalistische System verbessern. Deshalb landete sein Name auf der Todesliste des Leuchtenden Pfades.
De Soto machte noch weitere Studien in Afrika und Asien, und in der Folge begann die Weltbank zu erheben, wie einfach es in verschiedenen Ländern ist, Geschäfte zu tätigen. Auf dem aktuellen Doing Business Report, wie die Liste heisst, liegt Neuseeland an erster Stelle, die Schweiz auf Rang 31 und Peru auf Rang 54 von 190.
Quelle: NZZ-E-Paper (NZZ Folio) vom 02.10.2017, S. 12
In privatwirtschaftlichen Organisationen und Unternehmen ist es einfach, der Bürokratie zu Leibe zu rücken. Man halte nach nicht wertschöpfenden Tätigkeiten Ausschau. Dazu gehören die Tätigkeiten „Warten auf Informationen“ und „Suchen von Informationen“.