Was wissen Ökonomen über effizientes Führungsverhalten? Die Antwort lautet: «Eher wenig.» Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass Wirtschaftswissenschafter dazu neigen, gewagte Verhaltensvorhersagen und Empfehlungen für Entscheidungsträger in nahezu allen Bereichen menschlichen Verhaltens abzugeben. Ein Konzept von Leadership, welches über das Setzen von Anreizen und Sanktionen hinausgeht, ist weitgehend inexistent in herkömmlichen ökonomischen Theorien, der Lehre und der empirischen Forschung.
So ist es zum Beispiel schwierig, anhand wirtschaftswissenschaftlicher Theorien einen CEO von einem Manager im mittleren Kader zu unterscheiden, der Produktionsziele festlegt und Vergütungspakete schnürt. Und sogar die Rolle von charismatischen, visionären und überzeugenden Führungspersonen, wie sie in der Geschichte und der Literatur immer wieder anzutreffen sind, liegt als Forschungsgegenstand ausserhalb der Grenzen der herkömmlichen Wirtschaftswissenschaften. Daher haben auch allgemein bekannte Führungspersönlichkeiten, von Julius Cäsar bis zu Abraham Lincoln oder Steve Jobs (und vielleicht sogar zu Donald Trump?), keinen Platz im etablierten Theoriengebäude.
Glücklicherweise ändert sich das nun, weil eine grössere Anzahl von Ökonomen begonnen hat zu analysieren, wie Führungskräfte Gruppen, Organisationen und Nationen beeinflussen. Diese neue Forschung benutzt ökonomische Theorien und deren präzise Methoden, um zu fragen, ob und wo sich weitverbreitete Ansichten zum Einfluss von Führungskräften tatsächlich wissenschaftlich nachweisen lassen. Viele Menschen glauben zum Beispiel, dass Staatsführer das Wirtschaftswachstum beeinflussen. Für diese Überlegung gibt es ein schlagkräftiges Argument. Wenn sie den amerikanischen Republikanern angehören, dann berufen sie sich einfach auf das Wachstum unter der Regierung von Reagan, oder wenn sie Demokraten sind, können sie sich auf das Wachstum unter Obama berufen. Aber waren diese Präsidenten wirklich die Ursache für das Wirtschaftswachstum während ihrer Amtszeit? Beide Männer erlangten ihre Machtpositionen während einer Rezession. Daher wäre es genauso gut möglich, dass sich die Umstände auch unabhängig vom Amtsinhaber verbessert haben. Und vielleicht gewannen beide ihre Wahl teilweise aus dem Grund, weil die Wirtschaftslage zwar schlecht, jedoch im Begriff zur Besserung war und weil die Wähler eine Veränderung herbeiführen wollten. Es ist schwierig zu sagen, was Führungspersonen bewirken und was nicht, da sie nicht zufällig ausgewählt werden und dies nicht zu einem beliebigen Zeitpunkt geschieht. Eine Gruppe von Forschern verwendete einen cleveren Ansatz: Sie schauten sich Fälle von Staatsführern an, welche während ihrer Amtszeit starben; sie konzentrierten sich also auf zufällige Führungswechsel. Und tatsächlich fanden sie heraus, dass Staatsführer das Wirtschaftswachstum zu beeinflussen scheinen.
Eine weitere herkömmliche Annahme zu Leadership geht davon aus, dass unethische Führungspersonen unethische Gruppen kreieren, getreu dem Stichwort «Der Fisch stinkt vom Kopf». Aber ist das wirklich wahr? Dieser Zusammenhang ist noch schwieriger herzustellen als der obenerwähnte, weil nicht leicht festzustellen ist, welche Führungspersonen und Organisationen weitverbreitete unethische Verhaltensweisen aufweisen. Solche Verhaltensweisen werden bezeichnenderweise vertuscht und kommen nur in seltenen Fällen ans Licht. Nämlich dann, wenn ein Skandal vorliegt oder eine strafrechtliche Untersuchung im Gange ist, wie das bei der Fifa momentan der Fall ist. Allerdings stellt sich selbst in diesem Fall, wo Korruption ein weitverbreitetes Phänomen innerhalb der Organisation und der Führungsebene darzustellen scheint, die Frage, ob wirklich eine korrupte Führung für das unethische Verhalten verantwortlich ist. Könnten nicht auch andere Faktoren der Organisationsstruktur und deren Umfeld die Ursache sein für die Korruption auf allen Ebenen? Hier haben Wissenschafter ebenfalls eine Antwort bereit, in diesem Fall unter Anwendung experimenteller Methoden der ökonomischen Verhaltensforschung. Forscher der Universität Zürich führten ein Experiment mit Gruppen durch, welchen zufällig Anführer zugeordnet wurden mit dem Ziel, unethisches Verhalten statistisch nachzuweisen. Tatsächlich konnten die Forscher in diesem Experiment belegen, dass eine unethische Führung unethisches Verhalten in den entsprechenden Gruppen zur Folge hat.
Während die erwähnten ökonomischen Studien die gängigen Vermutungen zu Leadership bestätigen, gibt es daneben andere Beispiele, wo solche Studien zu überraschenden Ergebnissen führten, teilweise in solchem Masse, dass dadurch wirtschaftswissenschaftliche Theorien infrage gestellt werden. Wenn wir an wichtige Führungspersonen wie etwa Staatsführer denken, dann gehen wir davon aus, dass sie aufgrund ihrer Kompetenzen, Fähigkeiten und positiven Wirkung auf die Gesellschaft gewählt oder wiedergewählt werden. Immerhin ist es das, was «rationale» Wähler gemäss wirtschaftstheoretischen Überlegungen als Resultat ihrer Stimmabgabe produzieren. Leider ist das keineswegs der Fall. Führungspersonen werden zum Beispiel oft aufgrund ihrer Gesichtsmerkmale oder wirtschaftlicher Faktoren, über die sie keine Kontrolle haben, gewählt, etwa wegen des momentanen weltweiten Preises für Erdöl. Tatsächlich konnten Forscher der Universität Lausanne kürzlich nachweisen, dass Kinder, die aus Fotografien von verschiedenen politischen Kandidaten jenen aussuchen sollten, welcher der Kapitän eines imaginären Schiffes sein sollte, mit ihrer Wahl ziemlich genau den Gewinner von effektiven Wahlen vorhersagen konnten. Während wir uns also glauben machen, dass wir Unternehmensführer und politische Führer wohlüberlegt auswählen, basieren unsere Entscheidungen in Realität wohl eher auf einer kindlichen Präferenz für bestimmte Gesichtsmerkmale. Ebenfalls als falsch erweist sich die gängige Vorstellung, dass Menschen vornehmlich durch materielle Anreize motiviert werden, etwa durch winkende Lohnerhöhungen. Hier zeigen Studien, dass man mit Rhetorik und guter Kommunikation genauso viel erreichen kann. In manchen Fällen, wenn zum Beispiel die Mitglieder eines Teams eine gemeinsame Vision entwickeln, können Worte sogar motivierender wirken als finanzielle Anreize.
Wenn Sie also selbst Leute führen – sei es in einem kleinen Verein, einer Firma oder einer politischen Organisation –, stellt Ihnen die neue ökonomische Forschung zu «Effective Leadership» konkrete Ergebnisse bereit, welche sowohl für Sie wie für jene, welche Sie führen, relevant sind. Und diese junge, aber wachsende verhaltensökonomische Forschung wird auch in Zukunft neue Erkenntnisse dazu liefern, welche Führungsstrategien tatsächlich zum Erfolg führen und wie Stolpersteine umgangen werden können.
Roberto Weber ist Professor am Institut für Volkswirtschaftslehre der Universität Zürich.
Quelle: Roberto Weber: “Was Ökonomen zu Leadership sagen”, Neue Zürcher Zeitung, 23.12.2015, S. 10.
Hängt der menschliche Geburtenanstieg mit der gestiegenen Population an Störchen zusammen? Die Frage ist stets die gleiche: Liegen echte Zusammenhänge vor oder handelt es sich um Scheinkorrelationen, wie das klassische Beispiel mit den Störchen suggeriert? Es sei deshalb empfohlen, die Führungseffizienz nicht direkt zu messen. Vielmehr sollte das Gesamtergebnis eines Unternehmens oder einer Organisation z.B. mittels Balanced Scorecard verfolgt werden.