Es ist schon jetzt (31.3.2020) ein «annus horribilis». Als wären Klima, Iran-Konflikt, Flüchtlingskrise oder Negativzinsen nicht schon schlimm genug gewesen, haben wir jetzt auch noch Covid-19. Und das Virus wirkt wie ein Katalysator. Aufgehäufte Probleme stehen nun gleichzeitig auf der Tagesordnung, es droht ein Flächenbrand. […] Seit Jahren verlagert die Politik die Probleme in die Zukunft. Das Gebot der Stunde war stets das möglichst komfortable Prokrastinieren der Probleme. Flüchtlingskrise? Erdogan macht den Türsteher. Drohende Rezession? Mehr Geld drucken, bis in den Negativzinsbereich. Daran hat sich auch in der Corona-Krise nichts geändert. […]
Die Corona-Krise verdichtet und konzentriert gerade so ziemlich alles: Aufmerksamkeit, Zeit, Geld, Macht. Das Virus verlangt nach sofortigen Entscheidungen und ermöglicht zugleich eine ungeahnte Machtfülle – ein Trend, der sich ohnehin schon seit Jahren abzeichnet. Wir befinden uns nicht erst seit dem Coronavirus in Zeiten einer Refeudalisierung, durch welche Macht, Geld und Entscheidungsbefugnisse in immer weniger Hände geraten. Staatliche Akteure regieren jetzt per Notstandsrecht. […] Der Bürger sitzt derweil im Wohnungsknast mit täglichem Freigang und darf dabei seine Fussfessel, pardon, sein Handy orten lassen.
Es gehört leider zu den schlechten menschlichen Eigenschaften, dass man einmal eingeschlagene Wege nur ungern verlässt, auch wenn sie unweigerlich auf eine Klippe hinführen. Gelang es schon bisher nicht, Geldpolitik, Überwachungsstaat und Refeudalisierung einzudämmen, gelingt es jetzt noch weniger. Denn in Zeiten akuter Krisen übersteigen Probleme die Lösungskapazitäten der Beteiligten schnell. Es droht ein sogenannter «Clusterfuck». Mit diesem Begriff werden seit dem Vietnamkrieg ausweglose Situationen beschrieben, in welchen alles schiefzugehen scheint. Ungelöste Probleme entladen sich im ungünstigsten Moment, und hastig improvisierte Lösungen gebären neue Probleme.
Ein Beispiel dafür ist der «Kobra-Effekt». Ein britischer Gouverneur hatte im Indien der Kolonialzeit einmal die Idee, einer Kobraplage durch ein Kopfgeld auf Kobras Herr zu werden – was dazu führte, dass Menschen Kobras züchteten. Passiert durch grosszügige Rettungsversprechen vonseiten des Staates nicht gerade dasselbe, siehe zum Beispiel Adidas? Es wird gerade ein Anreiz dafür gesetzt, sich für bedürftig zu erklären. Je mehr vermeintliches Freibier es gibt, desto leichter fällt eben so manchem auf, dass man durstig ist – oder es bald sein könnte.
Quelle: NZZ-E-Paper, 31.03.2020, S. 9
Zusammen mit den altbekannten volkswirtschaftlichen Problemen führt Corona zu einem riesigen Problemhaufen. Dieser ist wegen der Prokrastination so gross (extremes Aufschieben oder unnötiges Vertagen der Problemlösungen). Der lesenswerte Blogeintrag stammt von Milosz Matuschek, stv. Chefredaktor des «Schweizer Monats». Zuletzt veröffentlichte Matuschek «Kryptopia» und «Generation Chillstand».
Ein Ansatz, wie Prokrastination vermieden werden kann, ist das Eisenhower Prinzip.