Erkenntnisse rund um Bauchentscheide

Herr Gigerenzer,* ist Intuition einfach eine Laune?

Keineswegs, vielmehr folgt die Intuition ihren eigenen Gesetzmässigkeiten. Man muss sich das menschliche Gehirn als eine Art Werkzeugkasten vorstellen, der mit unzähligen Faustregeln, so genannten Heuristiken, bestückt ist. Diese machen sich die evolvierten Fähigkeiten des Gehirns zunutze. Die tiefere Intelligenz der Intuition liegt eben darin, dass sie – ohne nachzudenken – sehr schnell weiss, welche Regel in welcher Situation höchstwahrscheinlich funktioniert.


Bei welchen Entscheidungen sollten sich Führungskräfte auf ihre Intuition verlassen?

Wenn man Experte auf einem Gebiet ist, darf man darauf vertrauen, dass die bestmögliche Option sehr schnell ins Bewusstsein dringt. Diesen ersten Impulsen sollte man unbedingt folgen und keine Zeit mit weiteren Überlegungen vergeuden. Deshalb empfiehlt es sich auch, Sitzungen unter Fachleuten sehr kurz anzusetzen. Dies verhindert, dass zweit- oder drittklassige Ideen überhaupt erst diskutiert werden.
Besteht die Runde hingegen aus Anfängern, sollte man sich bei Meetings aile Zeit der Welt lassen. Intuition beruht auf Erfahrung und Wissen.

Manager begründen ihre Entscheidungen in der Regel lieber mit Fakten als mit ihrer Intuition. Fehlt ihnen der Mut, auf ihren Bauch zu hören?
Zum einen fehlt es oft an Mut und zum anderen ist die Firmenkultur selten darauf ausgelegt. Oft werden darum defensive Entscheidungen gefällt. Diese stellen aber grundsätzlich ein grosses Problem dar, wie das Beispiel Gesundheitswesen zeigt: Viele Aerzte haben heute Angst, dass der Patient zum Kläger wird. Die Folgen sind Überbehandlungen und Übermedikation zur Absicherung. Ähnlich ist es in der Wirtschaft. Wenn ein Manager seine Intuition nicht begründen kann oder darf, trifft er nicht die qualitativ beste, sondern eine defensive Entscheidung, die am wenigsten Risiken birgt. Etwa indem er einen Unternehmensberater engagiert, der einen grossen Teil der Verantwortung trägt, wenn einmal etwas misslingt.

Was sind die Voraussetzungen, dass Manager ihrer Intuition folgen können?
Ais Erstes muss sich die Erkenntnis durchsetzen, dass mehr Informationen und mehr Berechnungen nicht immer besser sind. Ausserdem muss eine Unternehmenskultur aufgebaut werden, die auch eine Fehlerkultur beinhaltet. Meiner Meinung nach sind Familienunternehmen ein besonders gutes Beispiel dafür, wie dies funktionieren kann. Sie vertrauen viel stärker auf ihren Bauch und der Einzelne darf auch Fehler begehen, ohne gleich Sanktionen fürchten zu müssen. Dies sind die besten Voraussetzungen, um aus Fehlern lernen zu können.

Müsste Intuition gelehrt werden?
Natürlich. Man sollte bereits in der Schule damit beginnen, jungen Menschen beizubringen, wie sie intuitiv funktionieren. Sie sollten verstehen, warum sie bestimmte Dinge wollen und andere nicht. Damit liesse sich besser verhindern, dass sie manipulierbar werden.Womit beschäftigen Sie sich aktuell bei Ihren Forschungsarbeiten?
Wir versuchen zu analysieren, welche Prinzipien der Intuition zugrunde liegen. So haben wir schwarz auf weiss zeigen können, dass sich ein Manager, der sich auf einen einzigen guten Grund bei einer Entscheidung verlässt, besser entscheidet, als einer, der neuronale Netze, hochkomplexe computergestützte Berechnungen oder Entscheidungsbäume nutzt. Das zeigte einmal mehr: in einer unsicheren Welt ist es unabdingbar, Informationen zu ignorieren und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, um gute Entscheidungen treffen zu können.

* Gerd Gigerenzer ist seit 1997 Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und einer der weltweit am meisten zitierten Kognitionspsychologen.

Quelle: dialogue 0109, S. 8 (Swisscom)

Obwohl die Erkenntnisse über Bauchentscheide bemerkenswert sind, stösst die “Methode” in unserer komplexen Arbeitswelt doch recht bald an ihre Grenzen. Anderseits sind mehr Informationen und mehr Berechnungen nicht immer besser…

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