1,7 bis 2,6 Milliarden Franken: In diesem Bereich dürfte der Schaden liegen, den die Schweizer Spitäler 2020 wegen der Corona-Pandemie erleiden. Die Zahlen sind umstritten, sie stammen von den Spitälern selber. Ihr Verband hatte sie am vergangenen Freitag veröffentlicht, um Druck zu machen. Denn am Montag fand in Bern ein Treffen statt, in das sie grosse Hoffnungen setzten: Auf Einladung von Bundesrat Alain Berset trafen sich alle Beteiligten, um über die Geldprobleme der Spitäler zu sprechen. Dass ihr Verband im Vorfeld auf den Anlass hingewiesen und Stimmung gemacht hatte, haben dem Vernehmen nicht alle goutiert. Handfestes ist am Montag nicht herausgekommen: Man will im Gespräch bleiben, die Spitäler sollen transparentere, präzisere Zahlen vorlegen. Bis jetzt stützen sie sich auf ein Papier ab, das der Verein Spital-Benchmark und das Beratungsunternehmen PwC verfasst haben. Basis bilden die Halbjahresabschlüsse von 93 Spitälern und Kliniken.
Laut den Autoren zeigt sich, dass die Spitäler die entgangenen Einnahmen bisher nicht aufholen konnten. Von Mitte März bis Ende April durften sie auf Geheiss des Bundesrats keine planbaren Eingriffe und Behandlungen vornehmen. Diese Ausfälle sind laut dem Papier der mit Abstand gewichtigste Grund für die Verluste, während die Mehrkosten für die Vorbereitung auf die Pandemie kleiner ausfielen. Die grosse Streitfrage dürfte sein, wer für die Ertragsausfälle aufkommt. Der Bund will nichts bezahlen, zumal er schon die Corona-Tests finanziert. Die Krankenkassen argumentieren, sie könnten nur Leistungen bezahlen, die erbracht wurden. Somit bleiben nur die Kantone übrig, die ohnehin im Besitz eines grossen Teils der Spitäler sind. Einige Kantone – allen voran Bern – haben bereits signalisiert, dass sie ihre Spitäler schadlos halten würden. Doch aus Sicht der Kantone sind zentrale Fragen unklar: Für welche Kosten muss die Allgemeinheit aufkommen? Und wie werden diese berechnet? Das ist nicht banal. Sogar die Autoren des Papiers des Spitalverbands weisen auf die Gefahr hin, dass die Allgemeinheit zu viel bezahlen könnte. Sie sprechen sich für pragmatische, rasche Hilfe aus, betonen aber, dies dürfe nicht dazu führen, dass die Spitäler «über den erfahrenen Schaden hinaus profitieren». Das Papier liefert ein konkretes Beispiel: Im März und April sind auch die Patientenzahlen in den Notfallstationen stark zurückgegangen, obwohl es dort keine Einschränkungen gab. Das Minus betrug über 20 Prozent. Offenkundig gab es weniger Unfälle, und viele Patienten blieben dem Notfall aus Angst vor Ansteckungen fern. Die Spitäler können aber kaum erwarten, dass die öffentliche Hand diese Verluste deckt.
Aus Sicht der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektoren (GDK) müssen all diese Fragen geklärt werden, bevor die Kantone einen Teil der Verluste übernehmen. Dies komme ohnehin erst infrage, wenn belastbare Rechnungszahlen vorlägen, sagt GDK-Generalsekretär Michael Jordi. «Die bisher vorliegenden Zahlen der Spitäler sind zu wenig differenziert und noch provisorisch, wir können sie im Detail nicht nachvollziehen.» Können denn die Spitäler so lange warten, bis die offenen Fragen geklärt sind? Jordi geht nicht davon aus, dass viele Spitäler rasch in Liquiditätsprobleme geraten würden. Und falls doch, stünden Lösungen für die Überbrückung bereit.
Quelle: NZZ, 1.9.2020, S. 13
Die Spitäler sind auch 60 Tage nach Abschluss des 1. Semesters nicht in der Lage, aussagekräftige Ergebniszahlen zu liefern. Es verwundert deshalb nicht, dass Corona die Buchhalter der Spitäler stresst. Den Buchhaltern die Schuld zuzuweisen, scheint indes verfehlt, dürfte der wahre Grund für die schleppende Arbeitsweise der öffentlichen Hand im fehlenden Druck liegen, wirtschaftlich zu arbeiten. “Fast Close”, eine Methodik für das schnelle und hinreichend genaue Abschliessen der Bücher, scheint im Gesundheitswesen (Spitäler, Krankenkassen, Corona Testing,…) weder kulturell noch ablauftechnisch oder organisatorisch angekommen zu sein.
Ebenfalls bedenklich ist die jounalistische Vermischung von Ausdrücken aus der Finanz- und Betriebswirtschaft. Einmal wird von “Verlusten” gesprochen, dann von “Schaden”, von “Geldproblemen”, sodann von entgangenen Einnahmen oder Ertragsausfällen. Man kann nur hoffen, dass mindestens PwC zB die Ausdrücke “Erträge” und “Einnahmen” auseinanderzuhalten vermag.
Es stellt sich auch die Frage, welche der ausgefallenen Operationen tatsächlich medizinisch erforderlich gewesen wären. Es ist bekannt, dass die Chirurgen und Spitäler Patienten auch zu Operationen motivieren, welche bei genauer Prüfung nicht immer sinnvoll wären. Es werden schon deshalb nicht alle ausgefallenen Operationen nachgeholt, weil es sich Patienten inzwischen anders überlegt haben. Da kommt der Begriff medizinische Überversorgung ins Spiel. Deshalb ist ist problematisch einfach die Kosten der ausgefallenen Behandlungen zu berechnen und dafür Schadenersatz zu fordern.