Eine sichere und zuverlässige Flugsicherung, wie sie Skyguide mit ihren 1500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern jeden Tag in der Schweiz und im angrenzenden Ausland erbringt, ist eine äusserst komplexe Angelegenheit. Wetter, sich ändernde Lande- und Startprozeduren, divergierende Ansprüche der Luftraumnutzer, Verspätungen, Lärmreduktionsauflagen usw. prägen die Herausforderungen unserer Flugverkehrsleiter und Flugverkehrsleiterinnen mit. Kein Start, keine Landung ist gleich. Immer kann ein Problem auftreten, und auch die Menschen hinter den Systemen sind nun einmal nicht fehlerfrei. Daher hat Skyguide über Jahre eine neue Sicherheitskultur aufgebaut und verankert.
Diese Kultur schafft die Umgebung, in der unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre eigenen Fehler sofort und offen auf den Tisch legen können, ohne dass ihr «Eingeständnis» negative Konsequenzen hat. Diese Fehlerkultur, die nicht auf Strafe für Fehler bedacht ist, sondern auf Verbesserung der Gesamtorganisation, hilft Skyguide, Prozesse, Technologien und die Fähigkeiten der Mitarbeitenden laufend zu verbessern und mögliche Fehlerquellen abzubauen. «Just Culture» heisst diese Firmenkultur, die auf eine ständig lernende Organisation bedacht ist. Heute beginnen auch Spitäler, Kraftwerke und andere Organisationen, bei denen Fehler gravierende Auswirkungen haben können, die Vorteile einer solchen Kultur zu erkennen.
Selbstverständlich ist auch bei Skyguide diese Fehlerkultur keine Ausrede für fahrlässiges oder gar destruktives Verhalten. Wer grobfahrlässig oder gar willentlich Fehler in Kauf nimmt, wird auch in einer «Just Culture»-Organisation nicht geschützt und muss die vollen Konsequenzen für sein Fehlverhalten tragen. Fehler, die bei bestmöglichem Handeln entstehen, von Fahrlässigkeit oder willentlichem Fehlverhalten zu unterscheiden, ist in der Regel einfach. Bei Skyguide besteht zudem eine eigene Untersuchungseinheit, die die gemeldeten Fälle im Detail untersucht und Verbesserungen aus gemeldeten Fehlern in die Organisation einbringt.
Das strafrechtliche Verfahren, das am 28. April vor dem Bezirksgericht Bülach gegen einen Flugverkehrsleiter verhandelt wird, ist deshalb aus unserer Sicht unverständlich und bedeutet einen möglichen Rückschlag für die Sicherheitskultur von Skyguide sowie eine negative Signalwirkung auch für andere in sicherheitskritischen Bereichen tätige Organisationen. Wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zukünftig damit rechnen müssen, für ihre gemeldeten Fehler strafrechtlich belangt zu werden, werden sie sehr vorsichtig sein, Fehler überhaupt zu melden, und entziehen damit der Sicherheitskultur die wichtige Möglichkeit, aus Fehlern zu lernen. Wenn das straffreie Meldewesen von Vorfällen, die weder durch Grobfahrlässigkeit noch durch Mutwilligkeit entstanden sind, durch solche Gerichtsverfahren torpediert wird, steht auch bei Skyguide die heute gut gelebte Sicherheitskultur zur Diskussion. Glücklicherweise hatte der Prozess bisher noch keine negativen Auswirkungen.
Die Skyguide-Mitarbeitenden melden heute dank dem straffreien Meldewesen hundert Prozent aller Problemfälle, die unsere technischen Systeme bei Unterschreitung der vorgeschriebenen Flugzeugseparation aufzeichnen. Dieses aussergewöhnliche Bekenntnis zu begangenen Fehlern ermöglicht laufende Verbesserungen und Schulungen, um genau solche Fehler immer weiter zu reduzieren oder etwa durch technische Hilfestellungen zu vermeiden.
Als Leiter von Skyguide stehe ich fachlich und moralisch hinter unserem Mitarbeiter, der vor Gericht steht. Ich bin zuversichtlich, dass unser Rechtssystem den Aspekten der Sicherheitskultur wie bis anhin Rechnung trägt und wir unsere langfristig aufgebaute Fehlerkultur, die wir nicht mehr missen möchten, weiterentwickeln können. Ich bin überzeugt, dass nur so die Sicherheit in unserer von zwar gut geschulten, aber immer auch fehleranfälligen Menschen stark geführten Flugsicherung wirklich erhalten und erhöht werden kann.
Quelle: Daniel Weder: “Fehlerkultur» für mehr Sicherheit“, Neue Zürcher Zeitung, 21.4.2016, S. 9. (Daniel Weder ist CEO der Schweizerischen Flugsicherungsgesellschaft Skyguide AG.)
Obschon es einleuchtend ist, Fehler oder Fehlleistungen nicht a priori zu bestrafen, sondern vielmehr aus Fehlern zu lernen, ist die praktische Umsetzung des Gebots alles andere als einfach. Nichtsdestotrotz sind Organisationen gut beraten, eine positive Fehlerkultur zu leben. Geht bei Überbringern von schlechten Nachrichten grosse Angst um, so können einem Unternehmen existenzielle Probleme erwachsen (Beispiel: deutsche Automobilindustrie). Wie steht es mit Ihrem Credo, dem Führungsverhalten und den Führungsmitteln?