Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn

In Italien setzen immer mehr Unternehmen auf Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich. Vorreiter waren Banken und Industriebetriebe wie Lamborghini oder Essilor Luxottica. Die Gewerkschaften der Metallindustrie streben sogar eine Reduzierung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich von 40 auf 35 Stunden an, beissen dabei aber bis jetzt bei den Arbeitgebern auf Granit.

Während sich die Diskussion über kürzere Arbeitszeiten in Italien beschleunigt, verläuft ein Pilotprojekt der Unternehmensberatung Intraprenör mit Forschungsteams der Universität Münster und des Boston College holprig. 45 Unternehmen testen dort die Einführung der Vier-Tage-Woche.

Drei Monate nach dem Start hatten nur 38 Prozent der beteiligten Unternehmen die Vier-Tage-Woche oder eine anderweitige Arbeitszeitreduktion um 20 Prozent voll umgesetzt. Zwei Unternehmen waren schon ausgestiegen. Zwischenfazit: Die Herausforderungen würden unterschätzt, es brauche Zeit, und es seien Nachjustierungen nötig: «Es ist mehr als eine simple Reduktion der Arbeitszeit», so Intraprenör.

In Grossbritannien bewerteten die beteiligten Unternehmen einen vergleichbaren Versuch positiv und setzten kürzere Arbeitszeiten um. In Frankreich wurde schon in den 1990er Jahren die 35-Stunden-Woche eingeführt. Oft arbeiten die Arbeitnehmer aber länger als 35 Stunden und beziehen dafür mehr Ferientage.

Motiviertere Mitarbeiter

Intesa Sanpaolo, die grösste italienische Bank, hat vor mehr als einem Jahr eine Probephase für eine verkürzte Arbeitszeit lanciert. Sie gilt für etwa 28 500 Mitarbeiter. Die Betroffenen können flexibel wählen zwischen einer viertägigen Arbeitswoche von täglich 9 Stunden (36 Stunden) oder einer fünftägigen Woche mit täglich 7,5 Stunden (37,5 Stunden) – bei vollem Lohnausgleich. Sie können auch wechseln zwischen dem einen und dem anderen Modell. Die Regelung ist in dieser Probephase, deren Ende noch nicht feststeht, sogar ausgeweitet worden auf kleinere Geschäftsstellen. Sie gilt bereits in mehr als 300 Filialen. Darüber hinaus können Mitarbeiter im Backoffice bis zu 120 Tage im Jahr von zu Hause aus arbeiten. Die Bank stellt eine höhere Motivation und Zufriedenheit bei den Mitarbeitern fest, die sich positiv auf die Produktivität ausgewirkt habe. Negative Folgen im Geschäftsbetrieb seien nicht festzustellen, sagt ein Sprecher.

So weit wie Intesa Sanpaolo geht die zweitgrösste Bank Unicredit nicht. Doch auch die HVB-Mutter hat sich mit den Gewerkschaften auf flexiblere Lösungen für die 37 000 Beschäftigten in Italien geeinigt. Die wöchentliche Arbeitszeit ist seit Juli um eine halbe Stunde auf 37 Stunden reduziert. Die Regelung gilt auch für die Beschäftigten in den Geschäftsstellen. Für die Kunden bedeutet das, dass sich die Öffnungszeiten der Filialen am Freitag um 15 Minuten verkürzen.

Auch einige Industriebetriebe haben Arbeitszeitverkürzungen vereinbart. Für Aufsehen hat Ende 2023 die Audi-Tochter Lamborghini gesorgt. Nach mehr als einjährigen Verhandlungen einigte man sich mit den Gewerkschaften auf ein flexibles Modell, das es den Mitarbeitern aller Bereiche der Fertigung erlaubt, bei vollem Lohnausgleich jährlich 22 Tage weniger zu arbeiten. In manchen Fällen sind es sogar bis zu 31 Tage. Es handelt sich nicht um eine Vier-Tage-Woche auf Jahresbasis, sondern eher um eine Massnahme, die mehr Flexibilität erlaubt. «Die Beschäftigten arbeiten seit diesem Jahr teilweise länger, haben dafür aber auch einmal drei Tage am Stück frei», sagt der CEO Stephan Winkelmann. Die Produktivität sei mindestens so hoch wie bisher.

Auch bei SKF in Turin oder seit kurzer Zeit beim Kaffeehersteller Lavazza gibt es solche Modelle. Nach einem Pilotprojekt in der Lavazza-Firmenzentrale in Turin wird nun auch im Werk Gattinara in Piemont künftig am Freitag nur noch 4 Stunden gearbeitet. Anders als etwa in Deutschland ist das in Italien bis jetzt unüblich.

Exzellenz belohnen

Allerdings ist dieses Modell Teil einer Flexibilisierungslösung: Für einen zu bestimmten Zeiten notwendigen 8-Stunden-Tag am Samstag erhalten die Mitarbeiter drei 4-Stunden-Freitage. Das Unternehmen begründet die Massnahme damit, dass man den Beschäftigten Gutes tun wolle, gleichzeitig aber auch mehr Flexibilität verlange. Generell führen die meisten Unternehmen mehr Flexibilität und Attraktivität als Gründe für die Einführung solcher Modelle an. Gerade jüngere Beschäftigte erwarteten innovative Lösungen von den Unternehmen.

Der Brillenkonzern Essilor Luxottica erprobt seit 2023 zunächst für etwa 1000 Mitarbeiter in Italien eine Vier-Tage-Woche an 20 Wochen im Jahr – bei vollem Lohnausgleich. Die Produktionsmitarbeiter müssen im Gegenzug 5 bis 7 Ferientage «opfern». De facto haben sie 15 freie Tage zusätzlich. Die Regelung könnte nach spätestens drei Jahren auf alle 8000 italienischen Beschäftigten des französisch-italienischen Konzerns ausgeweitet werden.

Der CEO Francesco Milleri sagt, in einer Zeit «grosser wirtschaftlicher und sozialer Umwälzungen ist es dringend nötig, neue Organisationsmodelle für die Unternehmen einzuführen und Professionalität und Exzellenz in unserem Land anzuerkennen und zu belohnen». Das Unternehmen stellte in Italien 1500 neue Mitarbeiter ein. Für Büroangestellte gibt es übrigens keine Arbeitszeitverkürzung. Sie können dafür mehr von zu Hause aus arbeiten. Der Rüstungsproduzent Leonardo oder die Personalberatungsfirma Magister Group setzen ebenfalls auf solche Modelle.

Quelle: NZZ vom 22.7.2024

Weniger arbeiten, gleichviel verdienen: die geniale Vorstellung vieler und vor allem von Gewerkschaften scheint gem. NZZ Artikel vom 22.7.24 in greifbare Nähe zu rücken. Denn was wirtschaftlich eigentlich undenkbar ist, mit weniger Input (Arbeit) – und ansonsten unveränderten Inputfaktoren – mehr Output zu erzielen, erscheint realistisch, wenn man in der NZZ von der Erfahrungen der verschiedenen Firmen liest. Vieles ist in den Schilderungen allerdings vage gehalten. Nur über Lamborghini liest man von “Produktivität, die mindestens so hoch sei wie früher…”. Nur stellt sich die Frage, ob die Aussage rein subjektiv entstanden ist oder ob sie auf konkreten Messungen beruht, denn dies wäre eigentlich die korrekte, belastbare Vorgehensweise. Leider aber ist die Berechnung der Produktivität vielschichtig und alles andere als trivial. https://de.wikipedia.org/wiki/Produktivität

Weil das korrekte Messen der Produktivität sehr anspruchsvoll ist, dürfte sich das Messen oft auf das Ermitteln der Wirtschaftlichkeit beschränken: der monetäre Ertrag wird ganz einfach ins prozentuale Verhältnis zum monetären Aufwand gesetzt, was eher einem Spaziergang entspricht, verglichen mit dem Berechnen der Produktivität. Mehr über die Wirtschaftlichkeit unter Wikipedia, auch diesbezüglich ein gutes Nachschlagewerk. https://de.wikipedia.org/wiki/Wirtschaftlichkeit

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