1. Information ist auch eine Bringschuld. Während das Gesetz davon spricht, dass der VR Informationen holen, also sekundär die Manager um Auskunft bitten kann, besagt der Kodex, dass es primär Aufgabe von Präsident und Management ist, aktiv alle erforderlichen Informationen zu liefern.
2. Die Information muss rechtzeitig erfolgen. Dies bedeutet, dass die Unterlagen den Mitgliedern vor der Sitzung einzeln zugestellt werden sollen. Nur so können sie sich zu Hause vorbereiten, auch mit anderen Mitgliedern oder dem Verwaltungsratssekretär eine klärende Vorbesprechung durchführen. Wenn es wirklich nicht anders geht, lässt der Präsident wenigstens die Unterlagen vor der Sitzung zum Studium auflegen. Die immer noch mancherorts grassierende Unsitte der “Tischvorlage” oder gar einer völlig unterlagenlosen Fallbesprechung ist bei substanziellen Entscheidungen ein gravierender Verstoss gegen die Best Practice. Es ist ein Verstoss gegen die Grundsätze der rechtzeitigen Information, wenn der Präsident es zulässt – oder, noch schlimmer, dafür sorgt -, dass dem VR Präsentationen mit “Überraschungsfolien” projiziert werden. Es ist unerlässlich, dass die Unterlagen dazu vorher abgegeben werden. Einem Mitglied ist es sonst nicht möglich, gleichzeitig den mündlich dahinfliessenden Argumenten zu folgen, die oft überladenen Folien zu analysieren und das Ganze kritisch zu hinterfragen.
3. Information muss über alle Aspekte der Gesellschaft gegeben werden – sowohl für die Willensbildung wie für die Überwachung. Es ist also unzulässig, entweder sorglos selektiv (eine Form der Fahrlässigkeit) oder gar gezielt selektiv (eine Form der Manipulation) zu informieren. Der Präsident nimmt die Leitung des Verwaltungsrates im Interesse der Gesellschaft wahr, d.h. im Klartext weder in seinem eigenen Interesse noch in demjenigen der Mehrheitspartei oder eines harten Kerns innerhalb des VR oder des Managements. Der Präsident hat auch Alternativen vorzustellen: Sie sind für die Willensbildung unentbehrlich.
4. Die Information ist aber nicht nur aktiv, rechtzeitig und umfassend, sondern dazu vor allem auch übersichtlich aufbereitet zu bieten. Diese Anforderung ist in der Praxis überhaupt nicht selbstverständlich. Die einfachste und schlechteste Lösung für die Informationsabläufe besteht darin, dass man vor dem VR einfach sämtliche Unterlagen auftürmt, die sich im Prozess der Vorbereitung angehäuft haben. “Übersichtlich aufbereitet” heisst, dass die wirklich wesentlichen Aspekte konzis und klar im Sinn von “Executive Summaries” dargelegt werden. Diese enthalten auch eine kurze Erörterung von Varianten und der wesentlichen Kriterien, welche für die vorgeschlagene Variante und gegen die anderen sprechen. Unerlässlich ist ferner eine sichtbare Bewertung der Wesentlichkeit der verschiedenen Punkte und der Brisanz von bestimmten Risiken. Es versteht sich, dass eine derartige Aufbereitung recht aufwendig ist. Dies ist auch einer der Gründe, weshalb der Rhythmus der Verwaltungsratssitzungen am besten mit nicht mehr als sechs ordentlichen Sitzungen pro Jahr angesetzt wird – mehr droht zu einer Überforderung für jene zu führen, die die Sitzungen vorbereiten und auswerten müssen.
5. Dass die Verantwortlichen einer wichtigen Vorlage in der Sitzung anwesend oder mindestens für vertiefende Fragen erreichbar sein sollen, erscheint wohl als eher banal – doch das ist es keineswegs. Gerade diejenige Person unterhalb des “Top-Management”, die die entscheidenden Informationen hat, ist manchmal in der Verwaltungsratssitzung weder anwesend noch erreichbar, während der höchststufige Würdenträger zwar anwesend, aber nicht in der Lage ist, auf eine nachfassende Frage auch eine spezifische Antwort zu geben.
Quelle:
Böckli P. (2003, 10. Juni). Der Swiss Code zur Informationsbeschaffung. Neue Zürcher Zeitung, B5.
Die mancherorts grassierende Unsitte, selbst substanzielle Fälle mittels “Tischvorlage” oder gar ohne Unterlagen zu besprechen, ist ein gravierender Verstoss gegen Best Practice.