Das Verhältnis zur EU steht spätestens seit dem 9. Februar auf dem Prüfstand. Diverse bilaterale Verhandlungen sind blockiert, die Atmosphäre ist angespannt. Es wäre also höchste Zeit für den Bundesrat, gegenüber Brüssel mit geeinter Stimme aufzutreten − sollte man zumindest meinen.
Die Realität sieht aber anders aus. Die Bundesräte verstehen sich nach wie vor primär als Vorsteher ihrer Departemente und verfolgen ihre eigenen Strategien. Jüngstes Beispiel ist das Interview von Energieministerin Doris Leuthard (cvp.) in der «Handelszeitung» vom Donnerstag. Komme man im Stromabkommen mit der EU nicht weiter, so Leuthard, werde sich die Schweiz überlegen müssen, europäische Stromverkäufer vom Schweizer Markt auszuschliessen. Auch wenn diese Aussage mehr als Versuchsballon denn als reale Drohung zu werten ist, sorgt sie dennoch für einige Irritationen − vor allem im Departement von Aussenminister Didier Burkhalter (fdp.).
Dort verhandelt man derzeit unter Hochdruck mit der EU, um eine Lösung für das Kroatien-Dossier zu finden. Für das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) wäre dies ein Meilenstein. Findet man in der Kroatien-Frage eine Lösung, könnten einerseits die sistierten Verhandlungen zu «Erasmus+» und «Horizon 2020» wiederaufgenommen werden. Anderseits würde die Ausgangslage für die anstehenden Verhandlungen über die Personenfreizügigkeit und die institutionellen Fragen etwas besser. Entsprechend befremdet über die Aussagen Leuthards zeigten sich gemäss zuverlässigen Informationen massgebende EDA-Mitarbeiter. Sie befürchten, dass solche Drohkulissen in Richtung Brüssel in der gegenwärtigen Situation nicht hilfreich sind.
Das Interview mit Leuthard sei von der EDA-Medienstelle gesehen und autorisiert worden, heisst es hingegen in ihrem Departement. Nach dem 9. Februar gehen sämtliche Interviews von Bundesräten, die Europafragen betreffen, dort über den Tisch. Die Koordination übernimmt die Bundeskanzlei. Formell ist also alles korrekt gelaufen.
Doch unabhängig davon, wer im jetzigen Fall was gelesen und autorisiert hat, zeigt sich ein grundsätzliches Problem: Dem Bundesrat fehlt es an einer Gesamtstrategie. Wieso nimmt Leuthard in Kauf, laufende Verhandlungen mit der EU zu gefährden, ohne dies vorher mit ihren Regierungskollegen zu besprechen? Die Erklärung ist einfach: Im Bundesrat regiert das Gärtchendenken. Die Magistraten kämpfen in erster Linie für ihre eigenen Dossiers und blicken kaum über den Gartenzaun.
Diese Entwicklung ist nicht neu, doch sie wird in der derzeitigen Lage zunehmend problematisch. Wie soll die Schweiz in Verhandlungen mit der EU geschlossen auftreten, wenn jeder Bundesrat seine eigene Strategie verfolgt? Wenn Botschaften nach Brüssel ausgesandt werden, ohne dass man sich gegenseitig abspricht? Will die Landesregierung in den kommenden Verhandlungen mit der EU bestehen, täte sie gut daran, diese Kakofonie zu unterbinden. Der Bundesrat braucht schleunigst eine Gesamtstrategie, die er anschliessend mit einer Stimme gegen aussen vertritt.
Quelle: flj., Es fehlt die Gesamtstrategie. Gärtchendenken im Bundesrat. Neue Zürcher Zeitung 235 (29.3.14): 13
Verzahntes Arbeiten sollte eigentlich selbstverständlich sein. Dass dem nicht so ist, kann man sogar auf höchster Führungsebene beobachten.