Wieder Aerger mit Schengen

Das Elend fängt schon bei den Zahlen an: 2001 waren es noch 5 Jahre und 15,5 Millionen Euro gewesen, die für die Modernisierung und Aufrüstung des Schengen-Informations-Systems (SIS) eingeplant wurden. Damit hätte das für die innere Sicherheit des Schengenraums lebenswichtige System in die Lage versetzt werden sollen, die Erweiterung des Schengenraums um neue Mitglieder und die Verarbeitung von mehr, auch biometrischen Daten zu bewältigen. Doch das war vor neun Jahren. Im neuesten Fahrplan der EU-Kommission wird das erste Quartal 2013 als frühester Termin für den Start von SIS-II genannt, aber ohne jegliche Garantie. Einigermassen verlässliche Angaben über die Kosten zu machen, ist offenbar auch nicht möglich. Die Bandbreite reicht bis zu 143 Millionen Euro, wobei je nach Quelle zwischen 60 und 70 Millionen bereits ausgegeben sind.

Lücken für die Sicherheit?

Es erstaunt nicht, dass der Unmut über das Ausbleiben messbarer Fortschritte unter den EU-Mitgliedstaaten über die Jahre kontinuierlich stieg. Die Idee nämlich, dass Polizei und Grenzschutz im ganzen Schengenraum und an dessen Aussengrenzen jederzeit auf Signalemente von gesuchten oder vermissten Personen oder gestohlenen Autos zugreifen können, ist der Grundpfeiler des gesamten Systems Schengen. Mit jeder Verzögerung wächst die Sorge der betroffenen Innenminister über mögliche Lücken in der inneren Sicherheit. Obwohl sie vor einem Jahr beschlossen hatten, die Weiterentwicklung von SIS-II von der Erfüllung genau definierter Tests abhängig zu machen, mussten die EU-Innenminister am Donnerstag in Luxemburg feststellen, dass die Hängepartie andauert: Es geht weder vorwärts noch zurück.

Der erste Test wurde zwar absolviert. Doch das Ergebnis ist, milde gesagt, umstritten. Deutschland, Frankreich und Österreich vertreten dezidiert die Meinung, er sei gescheitert, doch sie wurden überstimmt. Statt nun am Luxemburger Treffen einen detaillierten Kostenvoranschlag und Terminplan vorzulegen, wozu sie von den Mitgliedstaaten verpflichtet worden war, vertröstete die Brüsseler Kommission die Innenminister auf den Herbst. Dementsprechend fielen harte Worte: Die österreichische Ministerin Fekter sprach von «verdichteten Hinweisen auf Missmanagement». Ihr deutscher Kollege de Maizière äusserte «erhebliche Zweifel», ob die SIS-II-Saga jemals zu einem guten Ende finden werde. Von keinem Minister, verlautete aus dem Sitzungssaal, sei ein gutes Wort zu dem Projekt gefallen. Manche nennen SIS-II bereits ein «Millionengrab».

Beschwichtigungen Brüssels

Zu ihrer Rechtfertigung macht die Kommission geltend, die Anforderungen an die Kapazität des Systems seien zu Beginn massiv unterschätzt worden. Statt mit 22 Millionen Signalementen rechnet Brüssel nun mit einer Datenmenge von rund 100 Millionen Signalementen, welche SIS-II verarbeiten können muss. Doch selbst dies lässt die streitbare Österreicherin Fekter nicht gelten: Wenn man acht Jahre benötige, um ein System zu entwickeln, sei es doch klar, dass dieses noch vor der Fertigstellung veraltet sei. Die EU-Kommission und die Experten des Konsortiums, das für die Entwicklung von SIS-II verantwortlich ist, beschwichtigten nur. Niemand, so Fekter, ziehe die Reissleine oder zwinge die beteiligten Unternehmen, Fakten auf den Tisch zu legen.

Fekter und andere Minister wandten sich deshalb ans EU-Parlament, das seit dem Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags bei SIS-II mitredet. Der zuständige Parlamentsausschuss entschied, die Projektfinanzierung für das nächste Jahr auf Eis zu legen. Die Gelder sollen nur freigegeben werden, wenn die Kommission bis Oktober eine überzeugende Projektplanung vorlegen kann, mit detaillierten Vorgaben für Kosten und Termine. Unterdessen schwinden die Hoffnungen, dass man im schlimmsten Fall das System SIS-I erweitern könnte, das gegenwärtig problemlos funktioniert: Ob dieses in einem realistischen Zeit- und Kostenrahmen für die neuen Bedürfnisse aufgerüstet werden kann, ist ganz einfach nicht klar.

Um die Modernisierung und Aufrüstung des Schengen-Informations-Systems (SIS-II) scheint es schlecht bestellt zu sein. Allein die Tatsache, dass das Projekt bereits 9 Jahre dauert, spricht per se gegen den Erfolg.

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